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06.03.2012:

Illegalisiert, krank und ohne Behandlung

Flucht und Gesundheit

Flucht uns Illegalisierung sind Lebenssituationen, die mit schwerwiegenden psychischen und physischen Erkrankungen verbunden sind. Menschen ohne Papiere, die hier als illegalisierte MigrantInnen leben, haben nur einen sehr eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Zwar können sie über das Sozialamt einen Krankenschein bekommen, was für sie aber mit einer Meldung und somit einer drohenden Abschiebung verbunden ist. Bislang gibt es in Mannheim und Heidelberg keine Einrichtungen, bei der diese Personengruppe eine medizinische Versorgung erhalten kann. Vereinzelt behandeln ÄrztInnen solche Personen mit, oder die PatientInnen müssen sich auf die Chipkarten ihrer Verwandten oder Bekannten behandeln lassen.

  MediNetz Rhein Neckar e.V.

Der Verein MediNetz setzt sich für eine verbesserte medizinische Versorgung von illegalisierten MigrantInnen in Mannheim/Heidelberg (und Umgebung) ein und möchte einzelne ÄrztInnen, die sich bereits engagieren vernetzen. Ebenso sollen Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen, Geburten und Impfungen für Kinder ermöglicht werden. Nach Absprache mit Krankenhäusern möchten wir Operationen ermöglichen, deren Finanzierung sich dann im Einzelfall zusammensetzen wird aus Spendengeldern, reduzierten Rechnungsbeträgen der Krankenhäuser und Eigenbeteiligung der Patienten. 

MedizinerInnen gesucht!

Wir suchen weiterhin Ärztinnen und Ärzte aus Mannheim/Heidelberg und Umgebung in den Fachrichtungen Allgemeinmedizin, Gynäkologie, Pädiatrie, Innere Medizin, Orthopädie, Neurologie, Dermatologie, und Zahnheilkunde, die bereit sind an diesem Projekt mitzuarbeiten. Erfahrungsgemäß werden vor allem Gynäkologen und Kinderärzte konsultiert, so dass hier besonders großer Bedarf besteht. 

Kontakt:

mail(at)medinetz-rhein-neckar.de
http://www.medinetz-rhein-neckar.de/

 

 

Tagungsbericht der Tagung „Flucht und Gesundheit”  

13.- 14.1. 2012, Bad Boll


 

Tagungsthema und Teilnahme:

Das Thema der traumatisierten Flüchtlinge stand sehr im Vordergrund der gesamten Tagung, was m.E. die Teilnehmenden sehr gut aufnahmen, da gerade die gesundheitliche Behandlung von traumatisierten Menschen, die vor der Abschiebung stehen, äußerst schwierig ist. Bspw. ist es gesetzlich kaum möglich, für diese Patient*innen ein Abschiebestopp durchzusetzen, obwohl es aus ärztlicher/medizinischer Sicht unerlässlich ist. 

Die Teilnehmenden kamen größtenteils aus dem Gebiet der praktischen Arbeit mit Flüchtlingen, vor allem Ärzt*innen, Therapeut*innen, Rechtsanwält*innen, Seelsorger*innen sowie Ehrenamtliche, die bspw. die Flüchtlinge bei Behördengängen begleiten. Dies machte die Diskussionen im Plenum sehr ertragreich und informativ, auch weil alle Teilnehmenden einen gewissen theoretischen Hintergrund zum Thema Asyl, Flucht und Gesundheit bereits aufwiesen, und dadurch unmittelbar auf die konkreten Diskussionspunkte eingegangen werden konnte. Auch verliefen die Arbeiten in Kleingruppen m.E. sehr zielbezogen, da die Teilnehmenden trotz verschiedener Arbeitshintergründe Erfahrungen und generelle Infos zum Thema mitbrachten. 


 

Tagungsverlauf

13.1.

Die Tagung startete mit dem Vortrag „Gesundheitliche Belastungen von Flüchtlingen vor und während der Flucht, in Deutschland und nach der Abschiebung” von Dr. med. Elisabeth Fries, die bei refugio Stuttgart aktiv ist. Neben anderen Schwierigkeiten führte sie aus, dass nahezu jeder Flüchtling unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Häufig ist es nur möglich der Abschiebung vorläufig zu entgehen, wenn diese diagnostiziert wird und man eine Therapie beginnen kann; sobald die Therapie erfolgreich abgeschlossen scheint, steht einer Abschiebung eigentlich nichts mehr im Wege, obwohl eine Rückkehr in eine Situation, die das Trauma ausgelöst hat, meist zu einem Rückfall führt; und dazu reicht nur der Anblick einer/s Grenzbeamte/in oder Polizisten/in. Entsprechend muss auch die sogenannte „Transportfähigkeit” äußerst kritisch gesehen werden; denn diese Transportfähigkeit, über die bei jeder Abschiebung ein*e Gutachter*in entscheiden soll, ist im Falle der posttraumatischen Belastungsstörung eigentlich nicht gegeben. Dennoch wird jene Erkrankung selten erkannt, von zuständigen Stellen meist verkannt und als Diagnose nicht ernst genommen.

Im nachmittäglichen „Praxistest” zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen berichtete erst Rechtsanwalt Schmidt-Rohr, der in Heidelberg tätig ist und dort Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus vertritt. Er führte in die juristischen Belange bezüglich der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ein. Konkret stellte er die entscheidenden Gesetzestexte vor, welche im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylG) festgehalten sind. Neben dem „allgemeinen” Paragraphen werden die Paragraphen „Schwangerschaft und Geburt” sowie „Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen” im AsylG aufgeführt. Schmidt-Rohr ging speziell auf die Gesetzesteile ein, welche die Abschiebestopps aus gesundheitlichen Gründen betreffen. Generell bleibt hier festzuhalten, dass akute Erkrankungen und akut behandlungsbedürftige Krankheiten, chronische Krankheiten sowie Krankheiten mit extrem hohen Schmerzen ein Abschiebestopp zur Folge haben. Die Verantwortung der jeweiligen Diagnose liegt hier beim behandelnden Arzt. Jedoch, so führte Schmidt-Rohr aus, lässt das AsylG einen Ermessensspielraum zur Auslegung der Gesetze, die weiterführend für die jeweiligen Entscheidungen sind. Die Auslegungsfrage ist demnach immens hoch, Schmidt-Rohr führte hier den „Begriff der Notwendigkeit” auf, welcher dehnbar ist. So werden chronische Krankheiten oft als nicht behandlungsbedürftig verstanden, da sie „ja schon immer da waren”. Hilfsmittel wie Prothesen, Brillen, Rollstühle werden im Regelfall genehmigt. Es besteht zudem die freie Arztwahl, jedoch ist diese nach jeweiligen Verwaltungsvorschriften eingeschränkt, z.B. haben örtliche Ärzt*innen, die nah erreichbar sind, Vorzug. Transplantationen werden meist nicht bewilligt, Psychotherapie plus Fahrtkosten hingegen eher schon: generell sind es Einzelfallentscheidungen. Großer Handlungsbedarf besteht v.a. bei der Vermittlung und Bezahlung von Dolmetscher*innen (gesetzlich vorgeschrieben, wird aber häufig nicht umgesetzt) und bei der Bewilligung von Krankenscheinen (dies muss durch das Sozialamt geschehen, BEVOR die medizinische Diagnose möglich ist: total unlogisch). 


 

Anschließend legte Frau Reiss vom Gesundheitsamt HD die Sicht ihrer Behörde dar. Diese ist dermaßen diskriminierend, vorurteilsgeprägt und schlicht rassistisch, dass ich sie hier nicht weiter aufführen werde. Nur zum verwaltungstechnischen Vorgang sei kurz festgehalten, dass das Gesundheitsamt die Gutachten/Attests der Ärzt*innen überprüft, die sie den Menschen ausgestellt haben. In der Regel versuchen sie durch die eigenen behördlichen Amtsärzte diese Gutachten, die entscheidend für bzw. gegen eine Abschiebung sind, zu erstellen, bei speziellen Krankheiten oder psychischen Beschwerden werden jedoch behörden-externe Fachärzt*innen beauftragt.


 

Frau Doktor Seitz aus Hardheim stellte nun im dritten Vortrag die medizinische Sicht dar: ihr Vortrag war sehr detailreich und - für mich persönlich – emotional: sie schilderte ihre eigene 25jährige Erfahrung, in der sie sich für Menschen in Asylbewerberheimen einsetze, diese dort bzw. später in der eigenen Praxis behandelte, und sich auch und vor allem traumatisierten und psychisch erkrankten Menschen annahm. Sie schilderte die extrem negativen Haltung der Behörden (Mitarbeiter*innen des Asylheims, Landratsamt etc.), welche ihre Arbeit ausschließlich ablehnten und versuchten, sie an ihrer medizinischen Arbeit im Asylheim zu hindern. So wurde ihr bspw. das kleine Praxiszimmer im Asylheim geschlossen, weil angeblich Raum für weitere Bewohner*innen geschaffen werden sollte – der Raum wird seitdem als „Kaffeepausen”-Raum für die Sozialarbeiter*innen im Asylheim benutzt. Sie durfte dann nach kurzer Zeit die Bewohner*innen gar nicht mehr im Asylheim behandeln. Seitdem müssen die kranken Menschen bis zu ihrer Praxis kommen, der Weg ist weit und kostet natürlich Geld. Dass dies überhaupt möglich ist, musste Frau Seitz auch erst erkämpfen. Sie setzte somit die - gesetzlich schon längst festgeschriebene! - freie Arztwahl für die Lagerbewohner*innen in Hardheim durch. Frau Seitz kritisierte u.a. auch die Reduktion der Abschiebestopps aufgrund akuter Erkrankungen, da diese bspw. Traumatisierungen nicht mit einschließen. Auch die Situation von HIV-Patient*innen in Asylheimen ist erschwert, da die soziale Isolation zu weiteren psychischen Problemen führt. 


 

In der Arbeitsgruppenphase am Nachmittag belegte ich die AG „Ansätze zu einer besseren Gesundheitsversorgung durch veränderte Unterbringung”, moderiert von Andreas Linder vom Flüchtlingsrat Ba-Wü. Thematisiert wurde hier die Situation in den Lagern, die sich massiv auf die Gesundheit der Bewohner*innen auswirkt. Die Teilnehmenden schilderten die Situation in verschiedenen Lagern in Ba-Wü und Bayern. Die Lagerbedingungen sind extrem divers und vom jeweiligen Landkreis abhängig, so z.B. bei der Frage, ob die Bewohner*innen Essenspakete, Gutscheine oder Geldmittel bekommen. Da Andreas in der darauf folgenden Woche ein Treffen mit der rot-grünen Landesregierung hatte, in welchem sich über die Verbesserungen der Lager bzw. den nötigen Handlungsbedarf ausgetauscht werden sollte, bat er uns Teilnehmenden, in 2er-Gruppen unsere Vorschläge und dringendsten Verbesserungsmaßnahmen auszuarbeiten. Im abschließenden Plenum wurde vor allem das Ändern der Mindestgröße des Wohnraums pro Person (aktuell 4,5 qm pro Person) genannt sowie die Schließung der Massenunterkünfte (zur Zeit existieren viele Massenunterkünfte in Ba-Wü für 200-300 Menschen) und die Umzüge in Klein-/Privatwohnungen.

Eine andere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit kultursensiblen Dolmetscher*innen, die die Flüchtlinge bei Behördengängen und Arztbesuchen begleiten sollen. Ein entsprechendes Ausbildungsprogramm wird durch die Caritas Mannheim angeboten. Die besonders wichtige Arbeit wird im Realfall häufig durch Familienangehörige, vor allem Kinder, zum Teil durch Behörden des Landes, aus dem die Flüchtlinge kommen, durchgeführt. Bei Anhörungen oder diagnostischen Gesprächen bestehen gravierende Probleme, wenn sie ohne Dolmetscher*innen oder mit den oben genannten Dolmetscher*innen durchgeführt werden. Also besteht auch hier unbedingter Handlungsbedarf.


 

Das „Abendprogramm” gestaltete Sabine Förster, die in Liberia als Pfarrerin, Seelsorgerin und in einem Friedensprojekt für Kinder und Jugendliche gearbeitet hat. Anhand von vier Fotos von Jugendlichen in Liberia während und nach dem Bürgerkrieg erläuterte sie die Situation der jungen Generation dort, deren Umgang mit Gewalt, (Nach-)Kriegserfahrungen und die sich ändernde geschlechtliche Rollenverteilung. Ihr Vortrag war sehr detailreich und sehr gut dargestellt. Durch das wirkungslose Entwaffnungsprogramm und die traumatisierende Situation des jahrelangen Bürgerkriegs bestehen große Probleme mit Gewalttaten wie Frauenmisshandlung oder einer Normalisierung von Kriminalität als Broterwerb. Häufiger Bildungsabbruch, Drogenmissbrauch und ein hoher Anteil an psychischen Erkrankungen ohne Versorgungsmöglichkeiten im Land tragen zu einer sehr schwierigen, destabilisierten Lage bei. Sabine Förster spricht von einem Wert- und Orientierungsverlust einer ganzen Generation. Sie endete mit einem Filmtipp, der nach dem sehr schweren Thema auch positives Engagement aufzeigte: „Zur Hölle mit dem Teufel – Frauen für ein freies Liberia” (2008), eine Doku über die Widerstandsbewegung der liberianischen Frauen. 


 

14.1.

Der Morgen wurde von Svetlana Vucelic gestaltet, Familien- und Psychotherapeutin, die mit traumatisierten Asylbewohner*innen arbeitet. Nach einer theoretischen Einführung ins Thema „Engagement für kranke Flüchtlinge – Wie gehe ich sorgsam mit meiner eigenen Gesundheit um?” gingen wir in eine Gruppenarbeit über: in 5er-Gruppen berichteten wir uns gegenseitig von unseren Erfahrungen, z.B. wie wir zu dem Thema Antirassismus gekommen sind und mit welchen Problemen wir konfrontiert werden in der praktischen Arbeit. Mein persönlicher Eindruck von dieser AG war sehr gut, da eine angenehme Gesprächsatmosphäre herrschte und wir trotz recht unterschiedlicher Arbeitsbereiche ähnliche Probleme besprechen konnten. Im Plenum wurden die AG-Erlebnisse berichtet sowie verschiedenen Hilfestellungen von Frau Vucelic dargestellt, um mit der eigen psychischen Belastung in der praktischen Arbeit adäquat umzugehen.



Eine die Tagung abschließende Podiumsdiskussion am Nachmittag war spannungsgeladen: Neben der Vertreterin der Landesärztekammer Dr. med. Ingrid Rothe-Kirchberger, der Rechtsanwältin Vera Kohlmeyer-Kaiser und einem Gutachter, Dr. Thomas Soeder, (die Guten) saßen ein Vertreter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Andreas Dihlmann, sowie ein Vertreter des Regierungspräsidiums Karlsruhe Dr. Jochen Zühlke (eindeutig die Bösen) auf dem Podium. Die behördlichen Vertreter sind qua ihres Amts für die Abschiebungen und die Kontrolle der Abschiebestopps zuständig. Also überprüfen sie, ob die betroffene Person denn wirklich wirklich wirklich krank ist, sodass die Abschiebung ausgesetzt werden muss. Die behördlichen Vertreter schoben bei allen Kritikpunkten und Nachfragen jegliche Verantwortung von sich oder wussten von nichts.

Anzumerken bleibt, dass Dank der Moderatorin die Gesprächsatmosphäre zumutbar geblieben ist und Frau Kohlmeyer-Kaiser, Rechtsanwältin und 2. Vorsitzende des Flüchtlingsrats, den Vertreter des Bundesamts auf die Einführung einer Arbeitskommission festklopfte, um den bestehenden Fragenkatalog, zumindest die Reihenfolge der Fragen, umzuändern. Immerhin. Dabei handelt es sich um den Fragenkatalog, den Flüchtlinge bei ihrer ersten Anhörung beantworten müssen. Dies geschieht in den meisten Fällen, bevor (!) sie eine Beratungsstelle (bspw. Flüchtlingsrat) aufsuchen konnten oder ärztliche Betreuung erhalten haben, oft auch ohne Dolmetscher*in (!). So betreffen die ersten 8 Fragen ausschließlich die Reiseroute, die weiteren Fragen behandeln dann erst den Grund für das Asylgesuch. Dieses Vorgehen wird von Flüchtlingen und Flüchtlingsselbstorganisationen immer wieder kritisiert. Bei diesem letzten Tagesordnungspunkt wurden leider alle Vorurteile gegenüber den zuständigen Behörden bestätigt; sie erschienen ignorant und menschenverachtend.

 


 


 


 


 

 

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