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Deutsche Voraufführung im Mannheimer Nationaltheater von Tony Kushners Stück am 18.01.: Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Sozialismus und Kapitalismus mit Schlüssel zur heiligen Schrift.


 

In der gestrigen Voraufführung wurde im Nationaltheater in Mannheim zum ersten Mal in Europa(!) Tony Kushners oben genanntes Stück aufgeführt. Nun ich stehe ich vor der schwierigen Aufgabe, eine dreistündige hervorragende Aufführung eines genauso hervorragenden Stückes zu rezensieren. Hierbei maße ich mir nicht mehr an, als den Versuch zu unternehmen, nicht zu sehr ins Phrasenhafte zu fallen. Sollte dies misslingen, liegt dies schlichtweg daran, dass ich dieser Fülle an Eindrücken nicht Herr werden kann. 


 

So ging es in dem Stück um einen 72-jährigen ehemaligen amerikanischen Hafenarbeiter namens Augusto , genannt Gus, der als Gewerkschaftsfunktionär, Hafenarbeiter und Mitglied der Kommunistischen Partei den Garantielohn ohne weitere Arbeit ab einem gewissen Alter für sich und einige andere durchsetzte. So konnte er sich in der Folge ein millionenschweres Haus kaufen und fristet in diesem seit zwei Jahren seinen offiziellen Ruhestand, aber aufgrund seines Garantielohns wesentlich länger seinen faktischen. Hierfür zahlten  jedoch andere für ihn einen hohen Preis: Andere Arbeiter wurden im selben Zug entlassen und das Prinzip der Einheit der Arbeiterbewegung wurde somit gebrochen. Er als einzelner Funktionär, mit dem Auftrag, das Interesse aller zu verwirklichen, unterlag dem System Kapitalismus. Zur Stillung seiner materiellen Begierde als mit Verfügungsgewalt ausgestatteter Funktionär versäumte er es , weiterhin zumindest darum bemüht sein, das Interesse aller mit seinem eigenen auszutarieren. Es wird anhand dieses Einzelfalls als Paradigma aufgezeigt, dass mit der Schaffung einer unternehmerischen Struktur in Form von Vorständen einer gemeinschaftlichen Bewegung Machtverhältnisse geschaffen werden, die einen Zugriff der Unternehmer auf die Spitzen der Bewegung in Form einer Erfüllung ihrer Individualinteressen ermöglichen, um diese Bewegung selbst zum Erliegen zu erbringen. Dies ruft in ihm eine späte Identitätskrise hervor.


 

Vor dem Hintergrund dieser Identitätskrise und einer Alzheimerdiagnose will er von seinen Familienangehörigen die Zustimmung zum Suizid, sowie zum Verkauf des Hauses haben, um unter seinen drei Kindern das Erbe aufteilen zu können. Wundert man sich anfangs, dass er in seiner Familie gar keinen Halt findet, so wird mit fortdauernder Dauer des Stückes klar warum: Jedes Familienmitglied lebt ein zerrüttetes Leben, geprägt von dem Leben oder Aufwachsen in einer kaputten Familie, die ein gelingenden Zusammenleben mit anderen sehr unmöglich macht. Vor diesem Hintergrund wird auch die Frage aufgeworfen, wie ein gelingendes Zusamenleben einer Gesellschaft gelingen kann, wenn die in ihr lebenden Individuen es nicht vermögen, mit ihren unmittelbaren Mitmenschen in einer intakten Gemeinschaft zu leben. Dies ist nur der Rahmen des Rahmens der Handlung. Es gäbe über die vielen Geschichten, die noch in der Geschichte stattfinden, sehr viel zu sagen, es gibt in diesem Stück nicht einen Protagonisten, der ins Zentrum rückt. Viel mehr beginnt dieses Stück lediglich mit dem hier Umrissenen. Es enthält keine blass bleibenden, rein typenhaft bleibende Charaktere, sondern sie werden in ihren spezifischen Stärken und Schwächen exponiert, ihre Lebensgeschichte wird in ihren Erfolgen und Rückschlägen skizziert und sie treten als Individuen, als einzelne Menschen in Erscheinung. Hierzu passt auch, dass Gus und seine Kinder nahezu immer mit ihren Spitznamen angesprochen werden, die die persönlichen Aspekte in iher Beziehung zu anderen hervorheben. In dieser Hinsicht bennent das Stück die vielleicht den zentralen Punkt umso deutlicher: Die großen Fragen der Zeit, können weder durch einen Individualismus noch durch einen Kollektivismus gelöst werden, sondern es muss der Versuch unternommen werden, diese miteinander zu vermitteln und in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Eine Gemeinschaft von Individuen misslingt nur dann nicht als Gemeinschaft, wie in diesem Stück auf familiärer oder gesellschaftlicher Ebene, wenn die in ihr lebenden Individuen weder ihre Interessen noch die anderer Individuen aus dem Blick verlieren und sich als eigenständig bleibende Individuen als Teil einer Gemeinschaft erfahren. Dem entsprechen die vielen Handlungsstränge: Gus, als der vermeintliche Charakter um den es geht, wird in seiner Individualität zwar dargestellt, jedoch im Verhältnis zu anderen, die als andere und genauso wichtiger Teil der Gemeinschaft nicht weniger ausführlich beschrieben werden. Hierin zeigt sich, dass Kushner den Menschen gleichermaßen als eigenständigen und gemeinschaftlichen Menschen im Verhältnis zu anderen definiert, wenn er denn ein menschliches Dasein fristen will das diesem Anspruch über die Erfüllung elemtarer Bedürfnisse hinausgehend gerecht wird. 


 

Die große Leistung der Inszenierung ist nun, dass zum einen die Offenheit des Mannheimer Nationaltheaters zu loben ist, amerikanische Stücke wie dieses, die hier noch unbekannt sind aufzuführen, um diese bei einigen, wie bei mir heute, bekannt zu machen. Hierfür allein verdienen alle Beteiligten großen Respekt. Noch größer wird der Respekt vor dem Hintergrund der packenden Inszenierung, der Kurzweiligkeit bzw. der leicht verständlichen Aufführung, obwohl es in diesem komplexen Stück soviele neben- und ineinander laufende Hauptstränge gibt. Alle Darsteller verkörpern in ihrem Auftreten eine Authentizität in ihrer Sprechart des einander Unterbrechens und Aufbrausens, die die von Kushner dargelegten Konflikte menschlichen Daseins im wahrsten Sinne des Wortes mit Leben füllt. So bricht trotz einer starken Dynamik in ihrer der Art und Weise, wie sie mit-, zu- und gegeneinander sprechen, die die Drehbühne zum Wechsel des Szenars gekonnt verstärkt, keine Hektik aus, die nicht in Zusammenhang mit der Handlung stünde. Vor dem Hintergrund, dass dies in drei Monaten erarbeitet wurde, wirkt dies umso beeindruckender. Alle Darsteller spielten sehr überzeugend, erledigten ihren Teil mimisch, gestisch und sprachlich mit Bravour und mir ist es nicht möglich, bei der Fülle an Eindrücken bei dem Versuch einer detaillierten Beschreibung auch nur einem Darsteller gerecht zu werden.


 

Das Bühnenbild war sehr schlicht gehalten. Es bestand aus einer Anordnung von zwei Quadern, die sich vielleicht am besten beschreiben lässt, wenn man sich zwei zueinander verdreht angelegte, halbe Ts vorstellt. Diese erstreckte sich über gut zwei Drittel der Bühnenfläche. In ihrer Weite und Höhe verband sie die gesamten Bühnenbereich und trennte sie hierbei geschickt. Dies erwies sich nach meiner Auffassung als äußerst gelungen. Es verband alle szenischen Bereiche der einzelnen Figuren miteinander und stellte zugleich ihre kaum überwindbare Abgetrenntheit voneinander dar. 

 

Im Grunde müsste man über diese Inszenierung dieses Stückes, um es entsprechend zu würdigen, das Zehnfache von dem schreiben, was ich schreibe, qualitativ wie quantitativ. Einen Besuch empfehle ich nun jedem und jeder dringend, der oder die keine Allergie gegen Literatur und/oder Theater hat! Ich belasse es nun hierbei und bringe meinen Eindruck dieser Aufführung so auf den Punkt, wie man es ansonsten bei einer Oper erwarten würde, wenn es nicht um eine italienische Einwandererfamilie ginge: Grazie per una notte perfetta!

 

Ziad-Emanuel Farag (zef)

 

 

Weitere Aufführungen: 20.01, 21.01 (offizielle Premiere!), 28.01, 1.2, 11.2, 15.2, 28.2, immer um 19 Uhr! 

Siehe auch: www.nationaltheater-mannheim.de/de/schauspiel/stueck_details.php